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Aus dem Leben einer Sexualpädagogin

Heute sitze ich mal wieder in einem Stuhlkreis mit einer achten Klasse. Nach einer konzentrier-
ten Arbeitsphase, entsteht eine kleine Truppe rechts hinten, die sich köstlich amüsiert ...über

was, ist ihnen glaube ich auch nicht ganz klar. Links von mir empfängt jemand im Sekundentakt
vibrierende Nachrichten und drei Plätze weiter versuchen zwei gähnend die Belanglosigkeit des
Themas zu demonstrieren.

Die Aufmerksamkeit im Raum orientiert sich in viele verschiedene Richtungen, bis ich die ano-
nyme Fragerunde ankündige, eine der beliebtesten sexualpädagogischen Methoden mit Ju-
gendlichen. „Ich erkenne keine Handschrift, lege keinen Wert auf korrekte Rechtschreibung und

heiße ALLE Fragen Willkommen. Nehmt bitte für jede neue Frage einen neuen Zettel!“ Alle stür-
zen los, schreiben und kichern...

Ich freue mich besonders auf die vermeintlich peinlichen Fragen, die sich nur selten getraut
werden, an Erwachsene zu adressieren.
Es werden sicherlich auch diesmal nicht außerordentlich spektakuläre Themen sein, sondern
Fragen, die allgegenwärtig sind, aber von Medien, Erwachsenen und der Peergroup scheinbar

nur unzureichend beantwortet werden - sonst würden sie wahrscheinlich nicht (auch immer wie-
der) in der anonymen Fragebox landen.

Ich sammel die Fragen ein und sortiere thematisch: Pubertät, Verhütung, erstes Mal, verliebt
sein, Schwangerschaft, nervige Eltern/Geschwister, sexuelle Vielfalt, Anatomie, Sex konkret,
Geschlechtsidentität. Nicht zu vergessen die Fragen, die ganz an mich persönlich gerichtet
sind...
Besonders häufig ist heute wieder dabei:
„Warum tut das erste Mal weh?“. Eine Frage die regelmäßig und mehrfach in der Box zu finden
ist, auch wenn sich zahlreiche Jugendmedien gerade mit dieser Thematik auseinandersetzen.
Als ich bei der Beantwortung dieser Frage angekommen bin, ist es extrem still und ich blicke in
viele große Augen. Ich starte das Gespräch mit Rückfragen: Was ist das erste Mal? Wo fängt
Sex an? Wir diskutieren und sprechen auch darüber, wer eigentlich mit wem Sex haben kann.
Wie immer landet das Gespräch danach bei anatomischen Fragen, wie: Wer war nochmal
„Jungfernhäutchen“? Und: Haben das eigentlich alle? Und was kann beim Sex eigentlich alles
weh tun? Kann beim Penis etwas kaputt gehen? Ist „weh tun“ immer körperlich?
Jetzt gelangen wir wieder zu den Gefühlen und fragen uns, „was wissen wir über Aufregung,

Nervosität und Angst?“ Dann erzähle ich ihnen etwas über die Verbindung von Gefühlszustän-
den und Muskelreaktionen. Spannenderweise schließt sich hier häufig die Frage an: „Wer glaubt

eigentlich, dass Schmerzen dazu gehören, bzw. dass Jungen sich darüber keine Sorgen ma-
chen?“ Um den gemeinsamen Spaß beim Sex wieder in den Raum zu bringen, frage ich provo-
kant: Was passiert eigentlich beim zweiten Mal? Ein guter Auftakt, um darüber zu sprechen, wie

Sex besonders schön, umsichtig, zärtlich, liebevoll, ohne Schmerzen, aufregend, lustvoll, angst-
frei, humorvoll, experimentierfreudig, im Konsens und vielleicht auch in seiner Unvollkommenheit

gestaltet werden kann.
Ich schaue auf die Uhr, über die Hälfte der neunzig Minuten sind schon vorbei, die Themen sind
spannend und trotzdem muss ich die Aufmerksamkeitsspanne von Pubertierenden einplanen.
Ein heikles Unterfangen, aber was soll ich sagen...Ich liebe diesen Job!

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