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Nachhaltigkeit
oder „Neulich in der U-Bahn...“

 

 

Rückfahrt nach Hause mit der U-Bahn in Berlin. Nach einem langen, schwierigen
Referententag bin ich müde, erschöpft und will nur noch Feierabend haben.
Plötzlich höre ich laut: „Eh, ich kenn dich!“ vom anderen Ende des Wagens. Aus
den Augenwinkeln nehme ich eine Gruppe von vier jungen Männern Mitte Zwanzig
mit sogenanntem Migrationshintergrund wahr. Jetzt bloß nicht auffallen, ist mein
Impuls.
Ich wage einen weiteren verdeckten Blick und sehe, dass mir zwei der Männer
zuwinken. Panik, keinen Stress jetzt! Das Rufen wird lauter und sie kommen zu mir
rüber.
Ich habe keine Ahnung, wer sie sind und schalte in den Abwehrmodus.
„Hi Theo, wie geht’s dir? Wir kennen uns doch.“
Bin verblüfft, die wissen meinen Namen. Hilfloses, freundliches Lächeln von mir.
Wer ist das?
„Wir waren mit Klasse bei Dir und haben über Sex geredet, war cool.“
Sie reden auf mich ein und erzählen vom - damals von uns in jeder
Jugendveranstaltung gezeigtem- Video „Sex, eine Gebrauchsanweisung für
Jugendliche“. Sie zitieren angebliche Aussagen von mir zur Morgenlatte, zu großen
Kondomen, Tampons im Wasserglas, Porno gucken, Liebeskummer und lachen sich
schief dabei.
Ich bekomme eine Ahnung. Bis vor zehn Jahren habe ich täglich in einer Berliner
Sexualberatungsstelle mit Sechst- bis Zwölftklässlern zum Thema „Liebe, Sex und
Partnerschaft“ die Jungengruppen angeleitet. Da waren sie wahrscheinlich in einer
der vielen Klassen, denke ich. Aber was wollen die jetzt von mir?
Meine Haltung bleibt bei Zurückhaltung und freundlicher Abwehr. Noch zwölf
Stationen.
Als einer der Männer mit Stolz beginnt, von seiner aktuellen persönlichen Situation
zu erzählen, Job hat geklappt, er hat geheiratet und schon einen Sohn, entspanne
ich mich, werde neugierig und frage nach.
Zwei der Männer waren vor zwölf Jahren(!) in der Achten Klasse, also im Alter von
14 Jahren, zu Besuch bei uns . Heute sind sie 26 und erinnern sich an so viele
Details einer Neunzigminuten Veranstaltung.
Der andere ehemalige Teilnehmer ist unglücklich verliebt derzeit und will Tipps.
Er überlegt eine Beratungsstelle aufzusuchen. Ich gebe ihm eine Berliner
Kontaktadresse.
Meine Ausstiegshaltestelle kommt und ich verabschiede mich.
Alle vier umarmen mich herzlich und wünschen mir ein gutes Leben.
Was war das denn?
Stunden später auf dem heimischen Sofa wird mir erst klar:
Neunzig Minuten Sexualpädagogik haben diese jungen Männer erreicht und
nachhaltig
beeindruckt. Nach zwölf Jahren betrachteten sie mich sofort wieder als
Vertrauenspartner und Informationsquelle.
In welchem Beruf gibt es eine solche zufällig in der U-Bahn bewiesene
Nachhaltigkeit?
Ich liebe meinen Job und danke den vielen tollen Jungs, für ihr Vertrauen, ihr
Zuhören und dass ich an ihren Erfahrungen teilhaben durfte.

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